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Afrika Erfahrungsberichte Ghana

Marlene als Maßschneiderin in Ghana vom 03.02.2024 – 08.03.3024 Mein Auslandspraktikum in Ghana kann man nur als glückliche Fügung des Schicksals bezeichnen. Angefangen hat alles ein halbes Jahr vorher auf einem Folk-Festival im Osten Deutschlands. Ich verbrachte dort einige wunderschöne Tage und schlenderte in der Nachmittagssonne gedankenlos an den vielen interessanten Ständen entlang. Der kleine […]

Marlene als Maßschneiderin in Ghana vom 03.02.2024 – 08.03.3024

Mein Auslandspraktikum in Ghana kann man nur als glückliche Fügung des Schicksals bezeichnen. Angefangen hat alles ein halbes Jahr vorher auf einem Folk-Festival im Osten Deutschlands. Ich verbrachte dort einige wunderschöne Tage und schlenderte in der Nachmittagssonne gedankenlos an den vielen interessanten Ständen entlang. Der kleine Stand mit afrikanischen Klamotten aus bunten, traditionellen Stoffen erregte natürlich sofort meine Aufmerksamkeit. Ich stöberte durch das Angebot und kam dabei ins Gespräch mit der Inhaberin des Standes. Dabei erklärte sie mir, dass sie ursprünglich aus Ghana käme, seit Jahrzehnten in Deutschland lebe, dort aber noch immer ihre Kleider herstellen ließe. Da kam mir ganz

spontan der Gedanke, sie um ein Praktikum zu bitten. Ich hatte gerade meine Gesellenprüfung zur Maßschneiderin, Fachrichtung Herren bestanden und war nun auf der Suche nach geeigneten Praktikumsplätzen im Ausland, da ich im Rahmen des Erasmus+ Erfahrungen in meinem Handwerk sammeln wollte. Sie war sofort von der Idee begeistert und so war der Grundstein für diese wunderbare Möglichkeit gelegt. Bis zu meinem Flug nach Accra sollten mich allerdings noch einige Zweifel und Schwierigkeiten plagen.

Meine ursprüngliche Förderung wurde abgesagt, Ghana sei zu gefährlich, eine sehr vorurteilsbehaftete und falsche Einstellung, wie sich noch zeigen sollte. Dennoch verunsicherte mich das und ließ mich fast von meinem Vorhaben abkommen. Auch meine Familie machte sich Sorgen. In meinem Umfeld kannte ich niemanden, der Erfahrung mit Westafrika hatte. Glücklicherweise konnte meine dortige Chefin und Gastmutter diese Ängste jedoch zerstreuen, sodass ich mich dann eben doch in dieses Abenteuer wagte.

Die Ankunft in Accra war natürlich aufregend, aus dem Flughafengebäude trat ich hinaus in die tropische Nacht und war innerhalb von Sekunden am ganzen Körper verschwitzt. Da kam mir auch schon meine Gastmutter mit offenen Armen entgegen und gemeinsam fuhren wir durch die staubigen und lebhaften

Straßen Accras, bis wir nach Amasaman kamen, einem Vorort, in dem ich nun für fünf Wochen leben und arbeiten würde. Das Wohnhaus war ein schönes einstöckiges Gebäude mit vielen Räumen für die verschiedenen Hausbewohner. Dort lebten auch ein paar der Schneiderinnen, teilweise mit ihren Kindern, die mich alle freundlich willkommen hießen. Ich hatte ein schönes Zimmer für mich mit eigenem Bad. Im Nebengebäude befand sich die Schneiderei.

Am nächsten Morgen wurde ich von dem im Nachbargebäude stattfindenden Gottesdienst geweckt. An einem Sonntag in Ghana kann man nicht lange ausschlafen. Die Gospelgesänge und Predigten schallten in mein Zimmer, begleitet von dem Gesang der Gemeinde, den Trommeln und den Hühnern im Garten, die aufgeregt mitgackerten. Diese Gottesdienste konnte ich in den kommenden Wochen mehrfach besuchen und miterleben. Das waren immer Tolle Erlebnisse voller Musik und Tanz und einer tollen Gemeinschaftlichkeit.

Am Montag begann dann mein Praktikum in der Schneiderei, in der ich fortan von Montag bis Freitag arbeitete. Durch das allmorgendliche gemeinsame Gebet wurde ich sofort wunderbar integriert. Ich lernte die anderen Schneider und Schneiderinnen kennen und habe schnell gemerkt, zwischenmenschlich ist es wie überall auf der Welt, dass man gleich mit manchen Kollegen kommt, von der ersten Minute an gut aus und alles harmoniert und bei anderen muss man eben einen Umgang finden. Insgesamt waren aber alle unglaublich freundlich zu mir und ich konnte immer jemanden um Hilfe bitten. Nachdem ich mir erst mal ein Arbeitskleid nähen durfte, ein wunderschönes buntes Modell, das die anderen Schneiderinnen auch alle

trugen, arbeitete ich an verschiedenen Projekten, lernte Kleidung der Kollektion zu nähen, aber konnte auch neue Modelle entwickeln, basierend auf meinen Erfahrungen als Herrenschneiderin. So kamen zum Beispiel großartige Westen zustande, die ich aus den traditionellen afrikanischen Stoffen nähen durfte. Ich konnte viel selbstständig arbeiten, aber bekam immer Unterstützung, wenn nötig. Besonders fordernd war für mich der Zuschnitt. In Deutschland ist Zuschnitt Meistersache, man hat hoch komplizierte Schnittbücher und Berechnungen.

Ich hatte damit nur wenig Erfahrung und hielt es für eine sehr komplexe Sache. Als man mir dann also ein Kleid gab und sagte, ich solle es in einer anderen Größe nähen, musste ich erst mal schlucken. Also fing ich einfach frei Hand an, nahm Maß, kopierte und

schätzte ab und das ging überraschend gut. In Ghana lernen alle Schneider: innen den Zuschnitt noch vor dem Nähen und man verwendet auch keine Papierschnitte. Dadurch sind sie darin viel routinierter und arbeiten viel mit Augenmaß, sodass die Modelle am Schluss perfekt sitzen.

Das sieht man auch auf der Straße, die meisten Menschen tragen bunt bedruckte, maßgeschneiderte Kleidung. Das sieht großartig aus und verleiht Würde. In Deutschland ist Maßarbeit Luxus – in Ghana Standard. Dadurch ist auch die Mode viel interessanter, man kann sich ja seine Kleidung selbst kreieren und sich bei Muster und Schnitt richtig austoben.

Mit meiner Gastgeberin erkundete ich in meiner Freizeit die Umgebung, wir machten abendliche

Spaziergänge im Ort, gingen auf den Markt und taten verschiedene Erledigungen in den umliegenden Orten. An den Wochenenden machten wir Ausflüge nach Accra und zum Beispiel auch nach Cape-Coast, wo wir eine Sklavenburg besichtigten, sowie die Universität der Stadt.

Als wunderbare Bereicherung entpuppten sich dabei die Gespräche mit meiner Gastgeberin, die mir durch ihre Erfahrungen und Gedankengänge die ghanaische Kultur wortwörtlich und im übertragenen Sinne übersetzen konnte. Mit ihr sprach ich über die teils wunderschöne, teils traurige Tradition dieses Landes, über Sklavenhandel, Kolonialismus und Unabhängigkeitskampf sowie über die aktuellen politischen Zustände und ökonomischen Zusammenhänge.

Ich konnte vollkommen eintauchen in das Leben dieses wunderbaren Landes und fühlte mich bald als Teil davon. Wo immer möglich, versuchte ich mich einzufügen. Ich trug bald nur noch traditionelle Kleidung, lernte in kleinem Umfang Twi, eine der vielen in Ghana gesprochenen Sprachen und passte mich den Umgangsformen an, bis hin zum Mit-den-Händen-Essen, das mir schnell naheliegend erschien. Es schmeckt so einfach tatsächlich besser!

Aber bei dem Essen in Ghana ist das auch kein Wunder. Ich verliebte mich in die ghanaische Küche, bestehend aus frischen regionalen Produkten von Yamswurzel und Kochbananen über Fisch, Fleisch, Bohnen, Reis hin zu frischer Avocado, Mango, Papaya, Ananas. Ich wurde jeden Tag mit frisch gekochten Gerichten verwöhnt. Mein absoluter Favorit: Red-Red, Bohnen mit einer Soße aus Palmöl und einigen anderen Zutaten mit frittierten Kochbananen und Gari, einem Pulver aus getrocknetem Maniok. Und an einem heißen Nachmittag in der staubigen Luft Ghanas kann nichts glücklicher machen, als eine frisch am Straßenstand aufgeschlagene Kokosnuss zu schlürfen.

Ich kann nur voller Dankbarkeit blicken auf die wunderbaren Wochen, die ich in Ghana verbracht habe. Ich empfinde es als große Bereicherung, die Kultur dieses Landes erleben zu dürfen und durch meine Arbeit in der Schneiderei auch Teil des alltäglichen Lebens geworden zu sein. Ich bin gespannt, inwieweit diese Erfahrungen auch mein weiteres Leben beeinflussen werden, das wird sich noch herausstellen.

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