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Erfahrungsberichte

Isabell als Ergotherapeutin in Kapstadt, Südafrika von 03/2024 – 06/2024

Angekommen in Kapstadt holt mich die Familie ab, mit der ich die nächste Zeit leben werde. Herzlich und liebevoll unterhalten wir uns bis in die Nacht. Eine muslimische Familie, mitten im Ramadan. Sie haben 3 Kinder und die Mama ist hochschwanger und bekommt, während ich hier bin, ein weiteres Kind.

Die ersten 2 Wochen im Praktikum bin ich in einer privaten Praxis. Schnell wird mir klar, was das in einer Gesellschaft wie Kapstadt bedeutet.

Alle Ergotherapeutinnen sind weiß und die meisten Kinder, die für Behandlungen kommen, auch. Das Gesundheitssystem ist komplex. 80% der Menschen sind nicht krankenversichert. Die, die es sind, bekommen selbst dann nur alle 2 Monate Ergotherapie.

Für wen ist hier überhaupt zugänglich, was mein Beruf ermöglicht?

Die Behandlungen finden nach sensorischer Integration statt: Körperwahrnehmung, Grobmotorik, bilaterale Integration, Feinmotorik und visuelle Integration sind immer Teil der Behandlungen. In den ersten 2 Wochen hospitiere ich, übernehme kleine Teile der Behandlungen und lerne, die „clinical observations“ durchzuführen. Am Ende der 2 Wochen stellt meine Anleiterin mir Kinder vor, die ich ab Woche 3 allein behandle. Deren Diagnosen sind PDA, ADHS, ASS, Angststörung, Trauma und allgemeine Beeinträchtigungen ihrer Entwicklung. Jedes dieser Kinder sehe ich 2 mal pro Woche und eines jeden Tag.
Ich bin in einer Vorschule, dort gibt es vor der Praxis einen Raum, mit Schaukeln, Spielen und Materialien. Den Raum teile ich mir mit einer anderen Ergotherapeutin. Die Kinder sind zwischen 3 und 6 Jahren alt. Einige von ihnen bekommen Medikamente. Die Kinder, die ich behandle, sind Kinder, bei denen einmal pro Woche Ergo nicht wirklich reicht, weshalb sie zu mir kommen. Außerdem sind 2 von ihnen Kinder, die sich sonst keine Ergotherapie leisten könnten. Diese beiden sehe ich jeden Tag.

Nachmittags fahre ich auf der linken Straßenseite zur Praxis und hospitiere bei einer der Ergotherapeutinnen in den Behandlungen. Am Anfang plane ich die Therapien sehr umfangreich. Aber nach und nach werde ich in meiner Rolle immer sicherer und spontaner. Mir war es sehr wichtig mit den Kindern auch ihre persönlichen Ziele zu verfolgen und nicht nur die, die ihr Umfeld, wie Schule und Eltern von ihnen verlangen. Deshalb haben wir auch Ziele verfolgt, wie Seilspringen lernen, Schnürsenkel binden und eine Kamera bauen. Einmal pro Woche habe ich eine Gruppe mit einer anderen Ergotherapeutin gemacht. Das hat allen immer total viel Spaß bereitet, auch wenn es oft chaotisch war. Dann habe ich meine eigene kleine Gruppe mit den 2 Kindern mit einem ökonomisch schwächeren Hintergrund angefangen. Das war mit Sicherheit eines meiner Highlights. Die beiden Jungs sind nach wenigen Stunden beste Freunde geworden und haben beide wahrgenommen, dass sie POCs sind und zusammenhalten wollen. Die beiden haben unendlich von der Gruppe profitiert, sich gegenseitig unterstützt und neue Selbstsicherheit gefunden.

Viele der Kinder, die ich gesehen habe, wurden aufgrund ihrer Schwierigkeiten in ihrem Leben sehr unsicher und zweifelten viel an sich selbst. Andere brachten sich selbst oder andere in Gefahr und wurden schnell wütend. Das Spektrum war sehr groß. Mir haben Kinder von sexuellen Übergriffen aus ihrer frühen Kindheit erzählt, von ihren Ängsten in der Schule, ihren imaginären Freunden und ihren großen Träumen, die Welt zu verändern.

Es war unendlich schön zu sehen, wie schnell Kinder Fortschritte machen und selbstsicherer werden. Es hat mir so viel Freude bereitet, ein sicheres therapeutisches Umfeld zu gestalten und eine vertraute therapeutische Beziehung aufzubauen.

Ich habe gelernt, Ballontiere zu binden, Fingerfußball zu spielen und Knete selbst zu machen. Am meisten habe ich vermutlich von den Kindern gelernt und ihrer unermüdlichen Ehrlichkeit und Stärke. Mir wurde viel zugetraut und dafür bin ich sehr dankbar. Fachlich konnte ich all die Dinge, die ich in der Ausbildung lerne, anwenden und unheimlich viele Erfahrungen sammeln.

Des Weiteren habe ich auch bei anderen Ergotherapeut*innen hospitiert. Wie zum Beispiel in einer inklusiven Vorschule. Viele Ergotherapeut*innen, die ich kennenlernen durfte, arbeiten vor allem daran, das Umfeld zu empowern, den Lehrer*innen und Eltern Fähigkeiten mitzugeben, um ihre Kinder zu unterstützen. Das liegt oft daran, dass für Einzelbehandlungen keine Kapazitäten oder Mittel zu Verfügung stehen und so die Kinder dennoch unterstützt werden.

Für mich ist Kapstadt ein sehr ehrlicher Ort. Man kann den Abgründen in der Gesellschaft nicht entkommen. Ich war in den Communities und Townships, in denen ich früher gearbeitet habe und viele Menschen sehr schätze. Die Kriminalität ist hoch, die Unterstützung seitens der Regierung zu gering. Die Menschen sind mit viel elementareren Herausforderungen konfrontiert und der Zusammenhalt berührt mich jedes Mal zutiefst.

Ich frage mich oft, was ich eigentlich in Südafrika mache und ob ich überhaupt da sein sollte. Wenn ich eine Sache wirklich mitnehme, dann ist es, dass das Miteinander so heilsam ist und in Beziehung zueinander so viel Wachstum und Veränderung stattfindet.

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